
A.6
BEFREIUNG

Foto: US Department of Defense
Gerettet oder ausgeliefert?
Die Befreiung war angesichts der schlechten Versorgungslage im Stalag bei Kriegsende für viele Gefangene lebensrettend. Die seelischen Belastungen durch die traumatischen Erlebnisse in der Gefangenschaft blieben jedoch oft ein Leben lang bestehen.
Das Stalag bei Kriegsende – Sammelpunkt für Gefangene
Ab Ende 1944 begannen die alliierten Truppen, das Reichsgebiet zu besetzen. Gefangene aus Lagern im Osten wurden nun vor den zusammenbrechenden Fronten nach Westen verlegt, viele davon zu Fuß, weil der Eisenbahnverkehr nicht mehr funktionierte. Sie waren daher häufig bereits entkräftet und krank, wenn
sie in den Sammelpunkten ankamen: Lübeck im Norden, Altengrabow im Zentrum und Moosburg im Süden Deutschlands.
Die schlechte Versorgung in den Lagern verschärfte die Situation zusätzlich. Daher bedeutete die Befreiung für die Gefangenen tatsächlich die Rettung, zumindest in körperlicher Hinsicht.
A.6.1
VOR DER BEFREIUNG

Lagerbild aus den letzten Kriegsmonaten, 1945. USA-Fliegeroffiziere
mussten wegen Überfüllung des Lagers auf engstem Raum untergebracht werden.
StadtA Moosburg: S-SON, Stalag; FOT-Alb Burger
Zwischen Hoffen und Bangen
Tausende von Gefangenen trafen daher seit Anfang 1945 im Stalag VII A ein. Um sie unterzubringen, wurden auf freien Flächen im Stalag Zelte aufgebaut und die Baracken dichter belegt.
Trotzdem mussten manche Lagerinsassen im Freien schlafen. Der Lagerleitung gelang es zwar, den Ausbruch von Seuchen zu verhindern, die Versorgung mit Nahrungsmitteln und Brennmaterial reichte nun aber auch für die Briten und Amerikaner nicht mehr aus. In den letzten Wochen des Krieges war Moosburg ein Verteilzentrum für Rot-Kreuz-Pakete für ganz Süddeutschland. Zeitweise konnten aber trotzdem nicht genügend Pakete ausgegeben werden, da wegen des schnellen Zustroms von Gefangenen und aufgrund von Transportproblemen zu wenige zur Verfügung standen.
Mein Vater […] war vom Weihnachtstag 1944 an in Moosburg interniert, bis das Lager von den Amerikanern am 29. April 1945 befreit wurde. Er erzählte nicht viel über das Lager aber ich weiß, dass es für ihn der härteste Abschnitt des Krieges überhaupt war. Es gab wenig oder gar nichts zu essen, und das Lager war völlig überfüllt und verlaust. Der Tagesablauf bestand aus Langeweile, Kälte, Hunger und noch mal Langeweile.
Bob Cree, britischer Gefangener;
Ein missglückter Fluchtversuch, berichtet von seinem Sohn,
abgerufen von ww.moosburg.org am 06.02.2025
A.6.2
TAG DER BEFREIUNG

nach der Befreiung am Lagereingang, 1945.
StadtA Moosburg: S-SON, Stalag; FOT-Alb Walton
Euphorie und Ernüchterung
Am 27.04.1945 erklärte Lagerkommandant Oberst Burger, entgegen seiner Befehle Lager und Stadt nicht zu verteidigen und die Gefangenen nicht in den Alpenraum zu verlegen.
Am 29.04.1945 befreiten Angehörige des 47. Panzerbataillons der 14. US-Panzerdivision gegen Mittag kampflos das Stalag. Für viele Gefangene ein Moment überwältigender Freude. Für nicht wenige folgte bald darauf Ernüchterung. Die Ernährungslage verbesserte sich in den kommenden Tagen wegen logistischer Probleme der Amerikaner nicht durchgreifend. Auch der Abtransport aus dem Stalag verzögerte sich.

Sie wurde gesprengt, um die amerikanischen Truppen aufzuhalten
© US Department of Defense

schüttelt die Hände der Befreiten Soldaten
Fotoarchiv: Ben van Drogenbroeck
Vormarsch von Truppen der 14. US-Panzerdivision mit Panzern und Infanterie von Mauern auf Moosburg
Kämpfe zwischen SS und US-Truppen um die Amperbrücke und den Bahndamm vor der Stadt
Rückzug der SS nach Moosburg
Sprengung der Isarbrücke
Kämpfe in Moosburg
Granateneinschläge im Stalag
Moosburg ist besetzt
Das Stalag ist befreit
Besetzung der Kaserne der Wachmannschaften, Gefangennahme der Wachsoldaten
A.6.3
DER KRIEG IST AUS

© US Department of Defense
Problematische Lebensverhältnisse im Lager
Auch in den Tagen nach der Befreiung blieben die Lebensverhältnisse im Lager problematisch. Die Amerikaner hatten Schwierigkeiten, ausreichend Nahrungsmittel für die große Zahl an Lagerinsassen zur Verfügung zu stellen.
Auch der Abtransport der Befreiten dauerte lange. Zahlreiche ehemalige Gefangene streiften nun durch Moosburg und Umgebung. Dabei kam es auch zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, zu Plünderungen und zu Vergewaltigungen. Dagegen versuchten andere, deutsche Zivilisten zu schützen, besonders diejenigen, von denen sie gut behandelt worden waren.
Erst mit dem Abtransport aus dem Stalag endete für viele befreite Lagerinsassen endgültig die Gefangenschaft. Diese Phase ihres Lebens ließ die ehemaligen Gefangenen auch in der Heimat nicht mehr los. Manche wurden als Feiglinge oder Verräter angefeindet. Nicht wenige hatten mit posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Alkoholproblemen zu kämpfen. Dagegen gelang es anderen, die Gefangenschaft als Phase zu sehen, in der sie über sich hinausgewachsen waren und kritische Situationen gemeistert hatten. Tausende von jungen Männern aus der ganzen Welt haben die Gefangenschaft in Moosburg als prägende Phase ihres Lebens erfahren, jeder auf seine Weise.

Der Start in ein ziviles Leben war frustrierend. Niemand wollte eine Person mit dem Stigma, eine „Kriegsneurose“ zu haben. [… Dann] wurde ich von einer Psychiaterin untersucht, die die schädlichen Folgen meiner Zeit im Kriegsgefangenenlager feststellte.
Amynthas Pires de Carvalho, brasilianischer Soldat; abgerufen von www.moosburg.org am 06.02.2025
Viele dieser Männer erlitten noch lange nach ihrer Rückkehr Nervenzusammenbrüche. Dies war bei meinem Vater fast fünfzehn Jahre nach seiner Rückkehr der Fall […]. Letztendlich fand er aufgrund der Gefangenschaft nie wieder zu einem wirklichen psychischen Gleichgewicht zurück.
Der Sohn des französischen Gefangenen Maurice Petre über seinen Vater, abgerufen von www.moosburg.org am 06.02.2015
A.6.4
NIKOLA NAUMOVIĆ 1915 BIS 1945
Als Kriegsgefangener von Belgrad nach Moosburg
Das Schicksal des Serben Nikola Naumović änderte sich durch den Zweiten Weltkrieg grundlegend. Es wird in der Ausstellung „vergessen und vorbei?“ in vier Stationen bis zur Generation seiner Enkel nachgezeichnet.
Nikola Naumović wurde am 10. November 1915 als eines von vier Kindern in Leskovac im südlichen Serbien geboren und im serbisch- orthodoxen Glauben erzogen. Mit 14 Jahren besuchte er die Militärakademie in Niš. Später diente er als Leutnant in der Königsgarde, ab 1935 gehörte er als Oberleutnant der jugoslawischen Armee an. Mit 1,85 Metern Größe stellte er eine imposante Erscheinung dar.
Im November 1942 wurde Naumović in Belgrad von der Gestapo verhaftet, möglicherweise weil er zu diesem Zeitpunkt ein Mitglied der monarchistisch- nationalserbischen Armee- Verbände war, die sich den Deutschen widersetzten. Vom 12. bis 19. November kam er in das KZ Banjica bei Belgrad. Dort waren unter anderem Gegner der serbischen Kollaborationsregierung inhaftiert. Nach dem Krieg sollte er als Vertrauensmann der Gruppe der ehemaligen serbischen politischen KZ-Häftlinge in Bayern fungieren.
Von Belgrad ging es für Naumović ins Oflag (Offizierslager) XIII B in Nürnberg-Hammelburg, 1945 ins Stalag VII A Moosburg. Über die Zeit seiner Kriegsgefangenschaft bis zur Befreiung am 29. April 1945 ist wenig bekannt.


Nikola Naumović wurde in der Kavallerie zum Offizier ausgebildet,
Pferde gehörten zu seinem Leben. Foto: privat
