
B.
internment camp no. 6

anlässlich der Lagerübergabe in deutsche Verwaltung am 10.10.1946.
Foto: NARA Nr. SC 259003 (National Archives Washington)
Alles Nazis?
Von Juni 1945 bis April 1948 befand sich auf dem Gelände des Stalag VII A das Civilian Internment Camp No. 6. Hier hielten die Amerikaner vor allem Funktionäre des nationalsozialistischen Deutschlands sowie mutmaßliche Kriegsverbrecher fest.
Die Gründe für die Internierungen –
Angst vor Anschlägen und Naziseilschaften
Hintergrund für die Internierungen war die Sorge der US-Armee vor Anschlägen und Sabotageakten durch fanatische Nationalsozialisten auch noch nach Ende des Krieges. Gleichzeitig wollte die Militärregierung Demokratie und eine freiheitliche Gesellschaft in Deutschland verankern und verhindern, dass Nationalsozialisten Führungspositionen in Staat und Gesellschaft übernehmen konnten.
Daher nahmen die US-Truppen auf ihrem Vormarsch Funktionäre der NSDAP und ihrer Unterorganisationen, leitende Beamte, hohe Offiziere der Wehr macht, Geheimdienstmitarbeiter und führende Kommunalpolitiker größerer Städte allein aufgrund ihrer Funktionen im NS-Staat im Rahmen des sogenannten automatic arrest fest. Hinzu kamen Personen, von denen die US-Truppen befürchteten, dass sie Anschläge verüben würden.
Schließlich verhafteten die Amerikaner auch Deutsche, die verdächtig waren, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Andere Personen, die nicht unter diese Kategorien fielen, wurden in der Regel nicht interniert.
Unter Aufsicht der Amerikaner –
Die Organisation des Internment Camp
Zunächst unterstand das Lager der Verwaltung der Amerikaner. Diese beschränkten sich im Wesentlichen darauf, Fluchten und den Kontakt zur Außenwelt zu verhindern. Die Internierten organisierten sich weitgehend selbst. Nach Übergabe des Lagers in deutsche Verantwortung am 10.10.1946 ersetzte der Freistaat Bayern die Interniertenselbstverwaltung größtenteils durch eine staatliche Lagerleitung.
B.1
Alltag im Lager

Foto: StadtA Moosburg
Schlechte Unterbringung und viel Freizeit
Das Lager füllte sich rasch. 1946 wurden hier 12.000 Männer und Frauen festgehalten. Die Internierten hatte man in den ehemaligen Gefangenenbaracken untergebracht, die wegen der langen Nutzungsdauer vielfach reparaturbedürftig waren.
Im Herbst 1945 kam es infolge von Nachschubschwierigkeiten der Amerikaner zu einer Phase der Mangelernährung. Ab diesem Zeitpunkt achteten die Amerikaner streng darauf, dass die Verpflegungssätze der Internierten über denen der deutschen Zivilbevölkerung lagen. Sie wollten verhindern, dass die Lager in den Ruf gerieten, KZs zu sein.
Ein Arbeitszwang bestand zunächst nicht, sodass die Internierten viel Freizeit hatten. Es bildeten sich zahlreiche Chöre, Musikgruppen, Orchester und Theatergruppen. Professoren organisierten Vortragsreihen und Fortbildungsmöglichkeiten. In den ersten Monaten unterbanden die Amerikaner jeden Kontakt der Internierten mit der Außenwelt. Erst im Dezember 1945 durften die Lagerinsassen ihre Angehörigen über ihre Situation informieren, ab Januar 1946 auch Briefe empfangen. Es war ebenfalls möglich, sich Pakete schicken zu lassen. Briefe wurden kontrolliert, Pakete durchsucht. Nach dem Übergang des Lagers in deutsche Verwaltung im Oktober 1946 durften die Internierten unter Aufsicht Besuch empfangen. In Sondersituationen konnten sie sich sogar beurlauben lassen.
Fluchten waren häufig und viele endeten erfolgreich. Abgesehen von einzelnen Übergriffen, die die US-Militärjustiz zum Teil auch verfolgte, war das Verhalten der Wachen weitgehend korrekt.
B.2
Entnazifizierung

Anwesend sind Brigadegeneral Walter J. Müller, Dr. Anton Pfeiffer, Bayerischer Sonderminister für Entnazifizierung,
Dr. Wilhelm Hoegner, Ministerpräsident von Bayern.
NARA Nr. SC 259005 (National Archives Washington)
Aber keine politische Bildung
Nach dem Übergang in deutsche Verwaltung im Oktober 1946 begannen im Lager Entnazifizierungsverfahren. Gerichtsähnliche Spruchkammern stuften die Internierten je nach ihrem Verhalten im Nationalsozialismus in fünf Kategorien ein.
Sie konnten Lagerhaft, Geldstrafen oder Berufsverbote verhängen. Die Verfahren dauerten jedoch wegen Personalmangels lange an. Nachdem viele Internierte Straffreiheit erhalten hatten und im Zuge der Entnazifizierungsverfahren zahlreiche Lagerinsassen entlassen worden waren, wurden die restlichen Internierten im April 1948 verlegt und das Lager geschlossen.
Politische Bildung oder der Versuch, die Internierten mit den Verbrechen des Nationalsozialismus zu konfrontieren und so ein Umdenken herbeizuführen, fanden nicht statt. Viele Internierte taten sich sehr schwer damit, Verantwortung zu übernehmen oder sich vom Nationalsozialismus zu distanzieren.
B.3
Wer war Interniert?

Colorierte Zeichnung eines Internierten
StadtA Moosburg: S-SON, Camp No. 6; HS Katholing
"Hochkaräter" im Camp No. 6
Einige Zahlen zeigen die Zusammensetzung der Internierten auf. In den ersten Monaten gab es einen Frauenblock mit 300-400 Insassinnen. Ende 1946 befanden sich unter anderem 2.800 SS-Angehörige, 2.950 politische Funktionäre, 560 SA-Angehörige und 250 Gestapo-Beamte im Lager.
Die Lagerspruchkammern stuften im Rahmen der Entnazifizierungsverfahren 14 Internierte als Hauptschuldige, 485 als Belastete, 879 als Minderbelastete, 191 als Mitläufer und 48 als Entlastete ein.
Sehr selten waren Fälle wie der des protestantischen Priesters Wilhelm Rott, der als Mitarbeiter in der nazikritischen Bekennenden Kirche von den Nationalsozialisten verfolgt worden war. Er fiel unter den automatic arrest, weil er zum deutschen Militärgeheimdienst eingezogen worden war und für diesen in Athen Pässe ausgestellt hatte. Im Lager waren jedoch auch viele prominente Nationalsozialisten oder Funktionäre interniert, die schwerste Verbrechen begangen hatten. So wurden dort KZ-Ärzte festgehalten, die Menschenversuche durchgeführt oder zahlreiche KZ-Insassen ermordet hatten.
Hinzu kamen unter anderem:
- Heinrich Hoffmann, der als Hitlers „Hoffotograf“ große Bedeutung für die Propaganda der NSDAP erlangte;
- Franz Pfeffer von Salomon, der erste Oberste SA-Führer, der die SA zu einer Massenorganisation aufgebaut hatte;
- Carl Eduard von Sachsen-Coburg-Gotha, der Hitler und der aufstrebenden NSDAP in den 20er Jahren Zugang zu den Reichen und Mächtigen verschafft hatte;
- Viktor Brack und Reinhold Vorberg, die die sogenannte Euthanasie, also den Mord an über 200.000 Menschen mit psychischen, körperlichen oder seelischen Beeinträchtigungen, organisiert hatten;
- Gerhard Klopfer, der als Vertreter der NSDAP-Parteikanzlei 1942 an der Wannseekonferenz teilgenommen hatte, auf der der Holocaust organisiert worden war;
- Albert Ganzenmüller, der als Stellvertretender Generaldirektor der Reichsbahn und Staatssekretär im Reichsverkehrsministerium Zugkapazitäten für die Transporte von Juden in Vernichtungslager bereitgestellt hatte.
B.4
DR. HERMANN MÜLLER

StadtA Moosburg: S-FOT, ANA 9.3
Ein Internierter aus Moosburg
Einige Zahlen zeigen die Zusammensetzung der Internierten auf. In den ersten Monaten gab es einen Frauenblock mit 300-400 Insassinnen. Ende 1946 befanden sich unter anderem 2.800 SS-Angehörige, 2.950 politische Funktionäre, 560 SA-Angehörige und 250 Gestapo-Beamte im Lager.
1891
Geboren in Kirchheimbolanden (Pfalz)
1916
Arzt, Kriegsteilnehmer
1918
Arzt in Moosburg
1923
Beitritt zur NSDAP
1923-1945
Ortsgruppenleiter der NSDAP in Moosburg
1925-1936
SA-Mitglied (Sanitätssturmbannführer)
1928-1933
Bezirksleiter (Kreisleiter) der NSDAP im Kreis Freising
1933-1945
Bürgermeister von Moosburg
1934-1945
Mitglied der SS (Sturmbannführer)
1934-1945
Vertrauensmann des SD
1945-1948
Internierung,
1947-1948
in Moosburg
1948
Entnazifiziert als minderbelastet,
Wiederaufnahme seiner Tätigkeit
1973
Verstorben in Moosburg
B.5
NIKOLA NAUMOVIĆ
1945 bis 1948/49
Nach Kriegsende blieb der serbische Kriegsgefangene Nikola Naumović in Moosburg. Da er als königstreuer Berufssoldat im mittlerweile sozialistisch geführten jugoslawischen Staat keine Zukunft mehr hatte, stellte er einen Antrag auf politisches Asyl in Deutschland.
In einem 1946 ausgefüllten Fragebogen für sogenannte „Displaced Persons“ bezeichnete sich Naumović als staatenlos. Er schrieb darüber hinaus, er wolle nicht nach Jugoslawien zurückkehren, weil er „mit der dortigen Regierung nicht einverstanden“ sei. Im selben Fragebogen gab Naumović darüber hinaus an, wegen seiner politischen Anschauung von nazi-deutscher Seite verfolgt worden zu sein.
Naumović arbeitete von 1945 bis 1948 oder 1949 als Verbindungsoffizier zwischen den amerikanischen Dienststellen und den ehemaligen jugoslawischen Lagerinsassen.
Ein Foto vom November 1945 zeigt ihn schräg vor dem Zugangsbereich des Moosburger Internierungslagers. Er steht vor der mittlerweile erneuerten Umzäunung und dem großen Schild mit der Lagerbezeichnung. Ein kleineres Schild darunter verweist auf das „3rd Battalion 47th Infantry Regiment“. Diese Einheit der US-Armee führte dem Foto nach zu diesem Zeitpunkt das Lager.


Nikola Naumović füllte das Formular zur Klärung seines Aufenthaltsstatus am 13. November 1946 aus.
Arolsen Archives Dokument 79518741
https://collections.arolsen-archives.org/en/document/79518741
