C.

Luftbild des Stadtteils Moosburg-Neustadt, 2021. Bis heute sind die Konturen des Stalags im Stadtbild aus der Luft deutlich erkennbar. Links unten sind die drei noch verbliebenen, denkmalgeschützten Wachmannschafts-Baracken zu sehen. Foto: © 2021 Siegfried Kerscher Luftbild, Mitterskirchen
Luftbild des Stadtteils Moosburg-Neustadt, 2021.
Bis heute sind die Konturen des Stalags im Stadtbild aus der Luft deutlich erkennbar.
Links unten sind die drei noch verbliebenen, denkmalgeschützten Wachmannschafts-Baracken zu sehen.
Foto: © 2021 Siegfried Kerscher Luftbild, Mitterskirchen

VOM STALAG ZUR NEUSTADT

Neue Heimat – Neuer Stadtteil

Nach der Auflösung des Internierungslagers im April 1948 siedelten sich auf dem Lagergelände Flüchtlinge und Heimatvertriebene an. Hier bauten sie sich mit der Errichtung des Moosburger Stadtteils “Neustadt” in den kommenden Jahren eine neue Heimat auf.

Ab den 60er Jahren zogen sogenannte Gastarbeiter nach Moosburg, die in den örtlichen Betrieben Arbeit gefunden hatten. Auch sie schufen sich auf dem Gelände ein neues Zuhause.
Beide Gruppen veränderten das Leben in Moosburg dauerhaft.

C.1

Vertreibung von Sudetendeutschen (ohne Datum)
Foto: Bildarchiv des Sudetendeutschen Archivs, Sudetendeutsches Institut e.V.

Heimatlos

Flucht und Vertreibung in Folge des Zweiten Weltkriegs

Gegen Kriegsende flohen viele Deutsche vor der Roten Armee aus Osteuropa. 1945 und in den Jahren danach wurden zahlreiche Deutsche aus dem Baltikum, vom Balkan, Polen, Ungarn, Rumänien der Tschechoslowakei wie auch vom Balkan vertrieben. Sie alle zogen nach Westen. 14 Millionen Menschen verloren so ihre Heimat, zwei Millionen starben. Alleine in Bayern kamen bis 1950 zwei Millionen Flüchtlinge und Vertriebene an. Damit stellten sie zu diesem Zeitpunkt ein Viertel der Bevölkerung Bayerns.

Da in den größeren Städten Wohnraum knapp war, verlegten die Behörden Flüchtlinge und Heimat-vertriebene in Kleinstädte wie Moosburg und aufs Land, wo sie häufig in Notquartieren unterkamen. Ging es zunächst nur um eine erste Unterbringung,

wurde es später wichtig, diese Menschen in Wirtschaft und Gesellschaft zu integrieren. Für sie und mit ihnen mussten Perspektiven für die Zukunft geschaffen werden.

C.1.1

Zustand der Baracken bei der Ankunft der Heimatvertriebenen, 1948
StadtA Moosburg: Altakten A IV 06­38

Ankunft

Ansiedlung auf dem Lagergelände

Für die Entwicklung der Stadt Moosburg a.d. Isar war der enorme Bevölkerungszuwachs durch Flüchtlinge und Heimatvertriebene von großer Bedeutung:

Je nach Nationalität und Kategorisierung entsprechend der „Rassenlehre“ der Nationalsozialisten war die Situation für die Gefangenen im Stalag höchst unterschiedlich. Viele sowjetische Soldaten überlebten unter anderem wegen schlechter Versorgung und Misshandlungen die Gefangenschaft nicht. Dagegen starben kaum Briten und Amerikaner. Einen Sonderfall stellten jüdische Gefangene dar: Für sie konnte die Gefangenschaft die Rettung vor dem Holocaust bedeuten.

Auch wenn jeder Gefangene die Gefangenschaft anders erlebte, bedeuteten die Ankunft und die Aufnahme im Stalag doch für alle die Unterwerfung unter ein fremdes System, das wenig Freiraum und Entscheidungsmöglichkeiten für den Einzelnen übrigließ.

C.1.2

Plan der Baracke 2, Aufbauverwaltung Lindenstraße 1, 1948 (Ausschnitt).
Wohnsiedlung (Kommandantur) oberes Lager; Pläne f. d. Gelände u. d. Gebäude
StadtA Moosburg: Altakten A IV 06­25

HEIMAT ENTSTEHT

Von der Flüchtlingssiedlung zum Stadtteil Neustadt

Die neuen Siedler standen vor enormen Aufgaben. So waren die Baracken nach der Nutzung als Gefangenen- und Internierungslager in einem schlechten Zustand. Außerdem stand das Gelände im Eigentum staatlicher Stellen und war an die Siedler nur verpachtet. Da der Staat nicht investieren wollte und die Bewohner dies nicht konnten, kam es zu keiner durchgreifenden Verbesserung der Infrastruktur wie auch der Wohnsituation.

Je nach Nationalität und Kategorisierung entsprechend der „Rassenlehre“ der Nationalsozialisten war die Situation für die Gefangenen im Stalag höchst unterschiedlich. Viele sowjetische Soldaten überlebten unter anderem wegen schlechter Versorgung und Misshandlungen die Gefangenschaft nicht. Dagegen starben kaum Briten und Amerikaner. Einen Sonderfall stellten jüdische Gefangene dar: Für sie konnte die Gefangenschaft die Rettung vor dem Holocaust bedeuten.

Auch wenn jeder Gefangene die Gefangenschaft anders erlebte, bedeuteten die Ankunft und die Aufnahme im Stalag doch für alle die Unterwerfung unter ein fremdes System, das wenig Freiraum und Entscheidungsmöglichkeiten für den Einzelnen übrigließ.

C.2

1965 verkaufte Rosa Bengl - Schreibwaren diese Fotopostkarte mit Motiven der aufstrebenden Neustadt StadtA Moosburg: S-POK, 02-3
1965 verkaufte Rosa Bengl - Schreibwaren diese Fotopostkarte mit Motiven der aufstrebenden Neustadt
StadtA Moosburg: S-POK, 02-3

NEUSTADTENTWICKLUNG

Neuanfang und Wirtschaftswunder

Die neuen Bürger standen vor dem Nichts. Sie mussten Wohnraum schaffen und sich eine wirtschaftliche Existenz wie auch ein neues soziales Leben aufbauen. Dabei sahen sie sich mit enormen Schwierigkeiten konfrontiert. Kredite, Rohstoffe, Maschinen und Baumaterial waren knapp und schwer zu beschaffen. Zudem stand so mancher Einheimischer den Flüchtlingen und Vertriebenen skeptisch, ja ablehnend gegenüber.

C.2.1

Betonwerk Zimmer, aufgenommen am 11.08.1962 Luftbild von Luftbildverlag Hans Bertram freigegeben von der Regierung von Oberbayern G 4/3390 © Luftbildverlag Bertram GmbH. StadtA Moosburg: S­FOT, ANA 5.4
Betonwerk Zimmer, aufgenommen am 11.08.1962
Luftbild von Luftbildverlag Hans Bertram
freigegeben von der Regierung von Oberbayern G 4/3390
© Luftbildverlag Bertram GmbH. StadtA Moosburg: S­FOT, ANA 5.4

AUFBAU DER WIRTSCHAFT

Die Industriesiedlung Neustadt

Von Anfang an siedelten sich Betriebe von Flüchtlin­gen auf dem Lagergelände an. So gab es im Februar 1954 in der Neustadt 22 mittelgroße Betriebe, die insgesamt 250 feste und noch einmal rund 200 Heim­arbeitsplätze boten.

Diese reichten jedoch nicht aus. 25% der Bewohner der Neustadt waren arbeitslos, weitere 25% mussten nach Erding, Freising, Landshut oder München pendeln.
Gleichzeitig begannen erste Betriebe bereits, ihre Waren zu exportieren. Sie waren wegen der guten Rahmenbedingungen gezielt nach Moosburg gekommen. Dass die Neustadt eine eigene Gemeinschaft mit einer eigenen Infrastruktur wurde, zeigen die vielen Geschäfte, die hier eröffnet wurden. Vor allem Lebensmittel und Gegenstände des täglichen Bedarfs konnte man hier erwerben.
Ein Blick auf die Liste der 1954 in der Neustadt ansässigen Betriebe und Einzelhandelsgeschäfte zeigt deren Bandbreite.

C.2.1

Resi Scherer im Inneren des gleichnamigen Lebensmittelgeschäfts Fotos: Stalag-Neustadt-Museum
Resi Scherer im Inneren des gleichnamigen Lebensmittelgeschäfts
Fotos: Stalag-Neustadt-Museum

WIRTSCHAFTS­UNTERNEHMEN

Firmen und Betriebe

Flitterfabrik Schwab
Von Moosburg auf den Weltmarkt:

Walter Schwab gründete 1951 eine Gardinen­ und Flitterfabrik wie in der alten Heimat. Er stand vor der Herausforderung, dass es im Bundesgebiet keine geeigneten Maschinen zu kaufen gab. Sein Vater musste die Spezialmaschinen deshalb selbst entwickeln.

Die Firma war die einzige ihrer Art in Deutschland und exportierte nach 1952 in fast alle Länder der Erde.

litterfabrik Schwab – von Moosburg auf den Weltmarkt
EBREGO „Erste Bistritzer Riemer Eigene Genossenschaft“

EBREGO
„Erste Bistritzer Riemer Eigene Genossenschaft“: der größte Arbeitgeber der Neustadt:

Die Firma kam im Jahre 1944 aus Bistritz in Siebenbürgen
(Rumänien) nach Deutschland. Sie stellte Herren­ und Damen­Straßenschuhe „mit sportlichem, modischen Einschlag“ her.
1954 bot der Betrieb 40 feste Arbeitsplätze und beschäftigte zusätzlich noch Heimarbeiterinnen.

Als größter Arbeitgeber der Neustadt hatte er eine wichtige Funktion für die Siedlung.

Lebensmittel Scherer
ein Meilenstein im Moosburger Lebensmittelhandel:

Resi Scherer betrieb zunächst in der damaligen Eichenstraße (im ehemaligen Kasino der Wohnsiedlung) ein kleines Lebensmittelgeschäft.

Später führte sie in der Herrnstraße im Stadtzentrum den ersten Moosburger Supermarkt.

Lebensmittel Scherer – ein Meilenstein im Moosburger Lebensmittelhandel

C.2.2

Neustadtsiedlung im Aufbau, 1961 Auf der Luftaufnahme von 1961 sind die Umrisse des Lagers, die ehemalige Hauptlagerstraße und zahlreiche Baracken zu erkennen, zugleich aber auch bereits viele Neubauten. © Luftbildverlag Hans Bertram GmbH, Mo18/163; 13.04.1961 StadtA Moosburg: S­FOT, ANA 5.4
Neustadtsiedlung im Aufbau, 1961
Auf der Luftaufnahme von 1961 sind die Umrisse des Lagers, die ehemalige Hauptlagerstraße
und zahlreiche Baracken zu erkennen, zugleich aber auch bereits viele Neubauten.
© Luftbildverlag Hans Bertram GmbH, Mo18/163; 13.04.1961
StadtA Moosburg: S-­FOT, ANA 5.4

STÄDTEBAULICHE ENTWICKLUNG

Ein neuer Stadtteil entsteht

Die ersten Flüchtlinge und Vertriebenen kamen in einem Barackenlager an. Sie bauten Betriebe und Geschäfte auf und schufen neuen Wohnraum. Mit der Piuskirche erhielt die Siedlung bald ein Zentrum.

So entstand innerhalb weniger Jahre ein eigener Stadtteil, die Neustadt. Der Bau einer Schule verzögerte sich jedoch. Erst Ende der 60er Jahre begann man mit der Errichtung des Schulzentrums Nord. Mit Hauptschule (Mittelschule) und Gymnasium wurde es für die ganze Stadt bedeutend.

C.2.2

Die fertiggestellte Piuskirche, im Hintergrund noch die Barackenbauten, 1950 Foto: Stalag­Neustadt­Museum
Die fertiggestellte Piuskirche, 1950; Im Hintergrund sind noch Baracken zu sehen.
Foto: Stalag-Neustadt-Museum

DIE PIUSKIRCHE

Im Mittelpunkt der Neustadt

Anfang 1949 zählte man in der Neustadtsiedlung schon um die 900 Bewohner, von denen die meisten Katholiken waren. In der Folgezeit bewohnten bis zu 1.250 Menschen die Wohnsiedlung und die Industriesiedlung. Die Gottesdienste konnten aber nur in einer kleinen Lagerbaracke abgehalten werden.

Daher entstand unter den Bewohnern schon bald der Wunsch nach einer eigenen Kirche. Ein Standort wurde in der Mitte der Gesamtsiedlung gefunden. Das Ordinariat stellte Mittel bereit, zusätzlich zu einer Geldspende des Papstes Pius Xll.

Am 2. April 1949 erfolgte die Grundsteinlegung und bereits am 15. Oktober 1950 konnte die feierliche Einweihung der „Siedlungskirche St. Pius“ stattfinden. Geweiht wurde die Kirche dem Papst Pius V. (1566 bis 1572). Sie wurde zu einem emotionalen und spirituellen Zentrum der Siedlung.

Die Piuskirche im Rohbau, 1949/50 Foto: Stalag­Neustadt­Museum
Die fertiggestellte Piuskirche, im Hintergrund noch die Barackenbauten, 1950
Foto: Stalag-­Neustadt-­Museum

C.2.2

Neben der Piuskirche stehen bereits die drei ersten Geschosswohnungsbauten, 1951
StadtA Moosburg: S-POK, 08.4

WOHNUNGSBAU

Die Siedlung wächst

Entscheidende Veränderungen führten in den 50er Jahren zum Aufbau des neuen Stadtteils „Neustadt“.

Ab Mitte des Jahrzehnts begann die Bundesvermögensverwaltung, Gebäude sowie Grund und Boden in der „Industriesiedlung“ direkt an Interessenten zu verkaufen. Diese gingen in private Hand wie auch in den Besitz von Siedlungsverbänden (Wohnungsbau) über.

Die „Wohnsiedlung“ mit den ehemaligen Wachmannschaftsbaracken des Stalag kam dagegen samt den dort vorhandenen Freiflächen in den Besitz der Stadt Moosburg. Die Gebäude wurden noch viele Jahre lang als städtische Wohnsiedlung verwendet, zuletzt als Obdachlosenunterkunft.

In den 50er und 60er Jahren errichteten Siedlerverbände wie die Oberbayerische Heimstätte, die Bayerische Landessiedlung GmbH und die Landeswohnungsfürsorge auf den vorhandenen Freiflächen im Westen, Nordwesten, Osten und Süden des ehemaligen Lagergeländes Mietwohnungen, Privatpersonen Eigenheime.

Dadurch und durch die zunehmende Bebauung von privaten Flächen außerhalb des ursprünglichen Lagers entstand im Laufe der Zeit ein zusammenhängender Stadtteil, die Moosburger „Neustadt“. Schließlich änderte man auch die Benennung der Straßen: 1958 nahm der Stadtrat den Vorschlag von Stadträten aus der Neustadt an, die dortigen Straßen nicht mehr nach Bäumen, sondern nach den Herkunftsgebieten der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen zu benennen, z.B. in Banatstraße, Hodschager Straße oder Batschkastraße. Damit sollte die Aufbauarbeit der Menschen aus der Neustadt gewürdigt werden.

C.2.2

Schule Nord mit Turnhalle und Gymnasium in den 80er Jahren Foto: Stalag-Neustadt-Museum
Schule Nord mit Turnhalle und Gymnasium in den 80er Jahren
Foto: Stalag-Neustadt-Museum

Schulen

Ein zweites Schulzentrum für die ganze Stadt entsteht

Schon 1948/49 war die Einrichtung einer Schule für die Neustadtsiedlung angedacht. Dies konnte jedoch nicht verwirklicht werden, weil die Ver-sorgung mit Wohnraum und die wirtschaftliche Entwicklung im Vordergrund standen. In den kommenden Jahren mussten die Kinder daher lange Schulwege zur städtischen Knaben- und Mädchenschule zurücklegen. Lediglich der Piuskindergarten für die Kleinsten konnten schon 1948 seinen Betrieb aufnehmen.

Mitte der 60er Jahre wurde wegen der ständig zunehmenden Besiedlung die Gründung einer neuen, neustadtnahen Schule immer dringender. Hinzu kamen Veränderungen im Schulwesen. Das Volksschulgesetz von 1966 trennte Haupt­ und Grundschule, die 9. Jahrgangsstufe wurde eingeführt.

1968 konnte die Grundschule Nord (heute Theresia-Gerhardinger­-Schule) ein eigenes Gebäude beziehen. Damit hatten die Kinder der Neustadt nun eine erste Schule vor Ort. 1970 bezog die Hauptschule (heute Georg-Hummel-­Mittelschule) ein neu errichtetes Gebäude.

1972 wurde im Olympiajahr die Dreifachturnhalle fertiggestellt und eingeweiht

1976 rundete der Bau des Karl-Ritter­-von-­Frisch­-Gymnasium das neue Schulzentrum im Norden Moosburgs ab.

Neben dem Schulzentrum im Süden mit Grundschule Süd (heute Anton-­Vitzthum­-Grundschule), Kastulus­-Realschule und Landwirtschaftsschule war somit im Bereich der Neustadt ein zweiter Schulstandort entstanden, was die Siedlung mit dem alten Stadtbereich vernetzte.

C.2.2

Rückwärtiger Eingang des Altenheimes, vor dem sich eine Seniorin auf einer Bank ausruht. In der näheren Umgebung sind schon Neubauten entstanden, die zunehmend auch das Bild des früheren „Industrielagers“ prägen, um 1949. Foto: Stalag-Neustadt-Museum
Rückwärtiger Eingang des Altenheimes, vor dem sich eine Seniorin auf einer Bank ausruht.
In der näheren Umgebung sind schon Neubauten entstanden, die zunehmend auch das Bild des früheren „Industrielagers“ prägen, um 1949.
Foto: Stalag-Neustadt-Museum

UMBAU UND AUFBAU

Der Stadtteil verändert sich

Im Laufe der Jahrzehnte wurden Baracken umgebaut und nach und nach durch neue Gebäude ersetzt. Die Umnutzung der Baracken aber auch die baulichen Veränderungen über die Jahrzehnte hinweg lassen sich gut am Grundstück Sudetenlandstraße 14 nachvollziehen.

Zunächst erfolgte eine Um­nutzung der dortigen, ver­gleichsweise gut erhaltenen ehemaligen Lazarettbaracke.

1949 eröffnete hier das Kreisaltenheim für Flüchtlinge und Vertriebene, das vorher in einem Gasthaus in Attenkirchen untergebracht war.

Mitte der 70er Jahre folgte die bauliche Veränderung. Anstelle der Baracke errichtete die Sparkasse Moosburg einen Bau für eine Zweigstelle.

Heute sind hier auch ein integrativer Kindergarten und die Zulassungsstelle der Stadt Moosburg untergebracht.

C.2.3

Plakat des Adalbert-Stifter-Vereins für eine „gesellige Zusammenkunft“ im Gasthof Willner, 1948 Plakat: Stalag-Neustadt-Museum
Plakat des Adalbert-Stifter-Vereins für eine „gesellige Zusammenkunft“ im Gasthof Willner, 1948
Plakat: Stalag-Neustadt-Museum

SOZIALES LEBEN

Gemeinschaften entstehen

Von besonderer Bedeutung für die Flüchtlinge und Heimatvertriebenen war der Aufbau von neuen sozialen Strukturen, da ihre bisherigen beim Verlust der alten Heimat zerbrochen waren.

Ein Mittel hierzu waren Sportvereine oder Landsmannschaften. Besondere Bedeutung kam den Gaststätten zu. Hier fanden vielfältige Veranstaltungen und Aktivitäten statt, die in zunehmendem Maße auch alteingesessene Moosburger anzogen. Gaststätten wurden so zu einem Ort der Integration.

Der Adalbert-­Stifter-­Verein war das kulturelle Bindeglied der Sudeten­deutschen und somit eine wichtige Grundlage für den Zusammenhalt.

C.2.3

1954 Einweihung des Mahnmals am Josef-Seliger-Platz Vereinigte Landsmannschaften Foto: Stalag-Neustadt-Museum
1954 Einweihung des Mahnmals am Josef-Seliger-Platz Vereinigte Landsmannschaften
Foto: Stalag-Neustadt-Museum

LANDSMANNSCHAFTEN

Orte von Brauchtum und Tradition

Flüchtlinge und Vertriebene schlossen sich zu Landsmannschaften zusammen. Diese waren Interessensvertretungen, bewahrten Brauchtum und Kultur und wurden zu einer Art Heimat, trafen sich hier doch Menschen, die aus der gleichen Gegend stammten und die gleiche Lebenswirklichkeit teilten. In Moosburg entstanden bald mehrere Landsmannschaften:

C.2.3

Sportplatz des TSV Moosburg-Neustadt © Luftbildverlag Hans Bertram GmbH, Mo18/314; 27.09.1971 StadtA Moosburg: S-FOT, ANA 5.4
Sportplatz des TSV Moosburg-Neustadt
© Luftbildverlag Hans Bertram GmbH, Mo18/314; 27.09.1971
StadtA Moosburg: S-FOT, ANA 5.4

SPORTVEREINE

Der TSV Moosburg Neustadt e. V.

Das gesellschaftliche und kulturelle Leben der neu nach Moosburg gekom menen Menschen spielte sich weitgehend im Lager ab. Trotz unterschiedlicher „landsmannschaftlicher“ Herkunft entwickelte sich ein Gemeinschaftsleben, das in den Anfangsjahren half, viele Schwierigkeiten zu meistern. Ein Beispiel hierfür ist die verbindende Wirkung des Sports, die zur Gründung des TSV Moosburg-Neustadt führte.

Am 17. Mai 1950 riefen sportlich ambitionierte Heimatvertriebene in der Gaststätte Willner den Turn­ und Sportverein Moosburg­Neustadtsiedlung ins Leben. Neben Fußball wurden hier auch andere Sport arten ausgeübt.

Anfänglich nutzte man für Sport im Freien das Sportplatzgelände des ehemaligen Gefangenenlagers. Nachdem dieser Platz aufgegeben werden musste, entstanden an der Buchenlandstraße mit massiver Eigenleistung sowie Unterstützung von Stadt wie auch des Nachbarvereins „Spielvereinigung 1960“ zwei neue Sportplätze. Eine ehemalige Latrine wurde 1963 in ein neues Vereinsheim umgebaut.

Heute gehört der TSV zu den großen Vereinen der Stadt Moosburg.

C.2.3

Gasthaus „Zur Schwarzen Au“ und Metzgerei von Rudolf Willner – Außenansicht Foto: Stalag-Neustadt-Museum
Gasthaus „Zur Schwarzen Au“ und Metzgerei von Rudolf Willner – Außenansicht
Foto: Stalag-Neustadt-Museum

GASTSTÄTTEN

Orte des gesellschaftlichen Zusammenlebens

Mittelpunkt des Zusammenlebens und des Gemeinschaftslebens in der Neustadtsiedlung waren in der ersten Zeit Gaststätten. Sie waren Orte für Versammlungen, Feierlichkeiten, Unterhaltungs- sowie Tanzveranstaltungen aber auch einfach Treffpunkte im Rahmen von Stammtischen oder zum Kennenlernen.

Die Veranstaltungen in der Lagersiedlung wurden bald so bekannt, dass sich Menschen aus der ganzen Stadt und sogar aus dem Umland einfanden. So trug auch die Geselligkeit zur Integration bei.

C.3

Muharrem Söhmelioglu, der Vorstand der DITIB-Moschee, steht bei diesem Foto aus den frühen 80er Jahren stolz neben seinem ersten eigenen BMW. Im Hintergrund die Stalag-Baracke, in der er damals wohnte. Privatarchiv: Orhan Söhmelioglu
Muharrem Söhmelioglu, der Vorstand der DITIB-Moschee, steht bei diesem Foto
aus den frühen 80er Jahren stolz neben seinem ersten eigenen BMW.
Im Hintergrund die Stalag-Baracke, in der er damals wohnte.
Privatarchiv: Orhan Söhmelioglu

GASTARBEITER

Wirtschaftlicher Aufschwung trotz Arbeitskräftemangel

Ab den 60er Jahren zogen sogenannte Gastarbeiter in die Neustadt. Sie schufen sich hier ein neues Zuhause und wurden so zu einem weiteren wichtigen Teil der Moosburger Bevölkerung.

C.3.1

Muharrem Söhmelioglu auf seiner Zündapp

MIGRATION

Von Gastarbeitern zu Moosburgern

1973 stellten die Gastarbeiter 12% der Erwerbstätigen der deutschen Wirtschaft. Sie waren vor allem in der Industrie tätig. Da Moosburg das industrielle Zentrum des Landkreises war und Gastarbeiter vor allem in der Industrie tätig waren, zogen sie verstärkt hierher.

1960 kamen die ersten Italiener nach Moosburg, um bei einem Industrieunternehmen zu arbeiten. Türkische und jugoslawische Arbeitnehmer folgten. Sie wurden in der Neustadt unter anderem in den ehemaligen Baracken der Wachmannschaften untergebracht. Der Anteil der ausländischen Staatsangehörigen an der Moosburger Bevölkerung stieg von 1% 1950 über 8% 1976 und 11% 1990 auf 15% im Jahr 1999.

Die aus dem Ausland stammenden Moosburger schufen sich nach und nach eine eigene Infrastruktur

mit Gaststätten und Geschäften. Hinzu kamen eigene Vereine, zum Beispiel ein türkischen Freizeitverein, der Sportverein SG Türk Istanbul-­Moosburg, der islamische Verein für Moosburg und Umgebung oder der Solidaritätsverein türkischer und deutscher Arbeitnehmer Moosburg. In der Stadt gibt es inzwischen zwei Moscheen. So bauten sich die Gastarbeiter im Lauf der Zeit ein neues Zuhause auf.

C.3.2 Arbeit - Freizeit - Alltag

60 Jahre Gastarbeiter in Moosburg

Anlässlich des 60jährigen Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland fand im Jahr 2021 eine große Ausstellung statt, die das Leben vor allem der türkisch-stämmigen Gastarbeiter nachzeichnete. Die Bilderstrecke mitsamt den dazugehörigen Texten stammen aus dieser Ausstellung, welche von Orhan Söhmelioglu, Sabahattin Inceklan und Volkan Akoglu organisiert wurden und uns dankenswerterweise zur Verfügung gestellt wurde.

in Mittel hierzu waren Sportvereine oder Landsmannschaften. Besondere Bedeutung kam den Gaststätten zu. Hier fanden vielfältige Veranstaltungen und Aktivitäten statt, die in zunehmendem Maße auch alteingesessene Moosburger anzogen. Gaststätten wurden so zu einem Ort der Integration.

Der Adalbert­Stifter-­Verein war das kulturelle Bindeglied der Sudeten­deutschen und somit eine wichtige Grundlage für den Zusammenhalt.

C.3.3

Regalbrett mit Gegenständen einer „Gastarbeiter-Wohnung“ aus der Wachmannschaftsbaracke Schlesierstraße 5. Im Hintergrund eine klassische Tapete aus den 1970er Jahren. Foto: Christine Fößmeier, 2025

GESCHICHTE ZUM ANFASSEN

Die Baracken der ehemaligen Lager-Kaserne

Die noch erhaltenen Reste der ehemaligen Kaserne des Stalag VII A an der Schlesierstraße in Moosburg sind eine deutschlandweite Besonderheit: Sie bilden nicht nur die Zeit des Zweiten Weltkriegs ab, sondern alle Zeitschichten von 1939/40 bis in die jüngste Vergangenheit. Wertvoll sind auch die darin erhaltenen Möbel und Gegenstände. Moosburg hat hier einen wahren „Schatz“ und ein Alleinstellungsmerkmal.

Die noch erhaltenen Reste der ehemaligen Kaserne des Stalag VII A an der Schlesierstraße in Moosburg sind eine deutschlandweite Besonderheit: Sie bilden nicht nur die Zeit des Zweiten Weltkriegs ab, sondern alle Zeitschichten von 1939/40 bis in die jüngste Vergangenheit. Wertvoll sind auch die darin erhaltenen Möbel und Gegenstände. Moosburg hat hier einen wahren „Schatz“ und ein Alleinstellungsmerkmal.

Couch-Ecke im Schlafzimmer der größeren der beiden „Heimatvertriebenen-Wohnungen“, Ausstattung aus den 1950er Jahren Foto: Christine Fößmeier

C.4 SPUREN ENTDECKEN

„Heimatvertriebenen-Wohnungen“

In der Wachmannschaftsbaracke an der Schlesierstraße 5 existieren noch zwei Wohnungen mit Möbeln der Nachkriegszeit: eine absolute Besonderheit in Deutschland. Hier lebten Heimatvertriebene und ihre Kinder. Die Wohnungen wurden bis zur Räumung der Baracke stetig weiter genutzt.